OBJEKTE

„Künstler sind Sachensammler und Sachenfinder, die Poesie und Dramatik im Schäbigen, scheinbar Nutzlosen und Verworfenen sehen, Dingen eine neue Identität geben, oder alte Geschichten sichtbar machen.“ (Kvak-Brief 2010)

 

kleine Dinge eingemacht / eingelegt / eingeweckt - small objects preserved / pickled / pottet - work in progress 2012-2024

Das Einwecken in Gläsern hatte seine Blütezeit von Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die 1960er Jahre. Aber auch danach wurde bei uns auf dem Land noch viele Jahre gesammelt, geerntet, geschlachtet und dann eingekocht. Die Kellerregale Glas um Glas mit Pilzen, Obst, Gemüse und Fleisch gefüllt, Nahrungsvorräte für den Winter eingeweckt.

Der Gedanke des Einweckens und Aufweckens gefällt mir ausgezeichnet. Ich entscheide, welche Symbole ich konserviere – die Welt ist kein Sammelsurium von einfach Vorhandenem, sondern all die uns vertrauten Sachen entspringen unserem Tun, unserer Geschichte.

Aspekte der Vergangenheit, der Charakter zeitlichen Wandels und dessen Auswirkungen auf die eigene Gegenwart und Zukunft werden mit jedem Objekt bewusst.

Heute sind über hundert ausrangierte Einmachgläser mit so großen Namen wie „Weltkonservenglas“ oder „Küchenglück“ Räume zur Beleuchtung der kleinen Dinge mit Geschichte(n).

Wackelkopffigur

Die erste mich faszinierende Wackelkopffigur war ein kleines kniendes „Negerkind“ aus Pappmachee, das mit dem Kopf nickte, wenn ich einen Pfennig in den Schlitz steckte. Beim Groschen nickte es stärker, aber den bekam ich nicht oft in die Finger.

„Willst du den Heiden Hilfe schicken, so lass mich Armen freundlich nicken“ stand auf einem Schildchen zu lesen, was ich aber noch nicht konnte, denn ich war noch nicht in der Schule.
Als ich endlich lesen konnte, waren die schwarzen Köpfe der Heiden auf den Missionsspardosen weitgehend verbannt und der Wackeldackel 1965 laut Google als ganz besonders deutsches Kulturgut erfunden.
Kann er mehr als abnicken?

 

Dorfkinder

Ein beschauliches Leben im Grünen
Aufgaben, die nie enden
Aufgehoben in der Großfamilie
Soziale Kontrolle und Familienstreit
Arbeit mit glücklichen Tieren
Blutrote Schlachttage
Wohnen im schmucken Fachwerkhaus
Enge in niedrigen Räumen
Kindheit auf dem Dorf
Schön und schrecklich zugleich?

 

polyme(e)re

Das freundliche Plastikentchen steht ganz unschuldig für den Badespaß im blauen Wasser. Zugleich jedoch auch für ein Heer von viel zu vielfältigen Produkten aus Polymeren.
Ein Frachtschiff verlor 1992 im Nordpazifik drei Container mit etwa 29.000 Kunststofftieren, die als friendly floatee immer noch in den Weltmeeren unterwegs sind. Leicht, wasserbeständig und keimresistent – seit einem Jahrhundert hat Plastik die Werkstoffe wie Eisen, Holz und Glas in vielen Bereichen abgelöst.

Die ausgezeichnete Haltbarkeit und die Billigkeit der Polymere hat Millionen Tonnen Spielzeug, Flaschen, Tüten… aus Plastik produzieren lassen und deren Reste haben das Meer inzwischen schleichend in eine gigantische Plastiksuppe verwandelt. Badespaß im Blauwasser?

 

Kisten, Kästen, Koffer - Körper

Fitnesstudio – Schubladen, Spiegel, Glas, Fotografien

Aktkoffer – Lederkoffer, Acrylfarbe, Fotografie

Tanzen – Pappkoffer, Tanzschuhe, Ingrespapier

Kisten, Kästen, Koffer - Musik

musicbox 1 – Gitarrenkoffer, Acrylfarbe, Metallgitter, CD-Spieler/Musik

musicbox 2 – Querflötenkofferkoffer, Acrylfarbe, Metallgitter, CD-Spieler/Musik

musicbox 3 – Zitherkoffer, Acrylfarbe, Metallgitter, CD-Spieler/Musik

Kindheitserinnerungen

Weck keine schlafenden Hunde!

„Erinnerung heißt, dass auch im Winter Rosen blühen können, las ich vor kurzem in einer Todesanzeige. Obst einkochen heißt, dass man auch im Winter Kirschen essen kann. Eingekochte Gegenstände stehen bei Martina Doll nicht im dunklen Keller, im Keller des Unbewussten, möchte man fast sagen, sondern auf einem Regal an der Wand, so als seien sie Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Sie sind – bis auf die Uhren – durch ein hermetisch abgeschlossenes Vakuum haltbar gemacht. Wir wissen nicht, ob sie sie jemals wieder benutzen will, wir wissen nur aus Erfahrung, dass irgendwann die Gummiringe morsch werden und bei dem Versuch, das Glas zu öffnen, reißen. Dann lässt sich das Glas nur noch mit roher Gewalt öffnen.

Wir atmen auf: die Zeit befindet sich nicht in einem Vakuum, sie lässt sich als Abschnitte von Lebenszeit erinnern, die aber noch weiter in die Zukunft hinein reichen werden. Als ich ein kleines Mädchen war, beginnen alle ihre Geschichten in den kleinen Büchlein, von denen uns (und vielleicht auch Martina Doll) jeweils nur die erste Seite zugänglich ist, als ich ein kleines Mädchen war, habe ich ganz leise Krankenschwester gespielt, denn meine Mutter war sehr krank. Da ist eine Puppe in ein Glas gestopft. Als ich ein kleines Mädchen war, war die Zeit ein Riese, Sand dringt in das Getriebe der Zeit ein, als ich ein kleines Mädchen war, besuchte ich immer den Frisiersalon der Freundin meiner Mutter, da duftete es immer so gut, die Welt der Frauen passt nun in ein kleines Wandschränkchen.

Wenn unsere Mütter eingekocht haben, geschah das auch auf dem Hintergrund ihrer Erfahrung von großem Hunger, während des Krieges und auch noch in der Nachkriegszeit. Die Regale im Keller, voll von Obst und Gemüse, hatten etwas Beruhigendes. Bei Martina Doll geht es um eine andere Beruhigung. Die Inszenierung einer aufbewahrenden Ordnung ist für sie ein Gegengewicht für das Schmerzhafte in ihrer Kindheit. Die Begegnung damit hat sie nicht ausgespart. Es existiert schon so lange, dass sich bereits Staub darauf festgesetzt hat. Es hat ein großes Gewicht im Ensemble ihrer Erinnerungen. …

Als Erwachsene darf sie als Künstlerin wieder spielen. Denn Kunst und Spiel sind Blutsverwandte, sie sind, wenn sie gelingen, keinem zukünftigen Nutzen unterstellt. Martina Doll entzieht Alltagsgegenstände ihrem täglichen Gebrauch und macht Tiere daraus. Ein Esslöffel wird zum Frosch, eine Zuckerzange zum Zuckerfresser. Der Topf zum Einwecken wird zum Behälter, in dem frische Blumen stehen, nein, keine Angst, sie werden nicht eingekocht, er steht nun da, weil er seine Aufschrift eine andere Spielerei erlaubt – die mit Worten: „Weck keine schlafenden Hunde“

Das lehrt sie uns hier: Kunst ist – wie Spiel – vielleicht immer ein Gegengewicht zu einer seelischen Hungersnot. Und zugleich macht Kunst unseren Hunger erst deutlich – dann, wenn wir uns nicht satt sehen können.“

Aus der Eröffnungsrede von Rose-Marie Bohle